Simultanschach auf hoher diplomatischer Ebene, zu Korruption, Öl und Menschenrechten. Wie ein Gipfel, zu dem niemand gehen wollte, zum angesagtesten Gipfel aller Zeiten wurde.
Ein faszinierendes, aber auch beängstigendes Schauspiel spielt sich in diesen Tagen in Lateinamerika ab. In den nächsten Tagen findet in Panama das 7. Gipfeltreffen der "Amerikas" statt. Gipfeltreffen der "Amerikas" statt, an dem die Staats- und Regierungschefs von 35 Ländern teilnehmen, darunter die Amerikas, Venezuela, Kuba und Guyana. Was zunächst wie ein langweiliges Treffen in Panama mit vielen Absagen aussah, ist plötzlich zu einem angesagten Gipfel geworden, an dem man als Land aufgrund der Entwicklungen der letzten Wochen in Bezug auf Kuba und Venezuela unbedingt teilnehmen 'muss'. Für einige Länder steht bei diesem Gipfel viel auf dem Spiel, und vor dem "Gipfel" ist das Schachspiel bereits in vollem Gange. Simultanschach, um genau zu sein.
Welche Entwicklungen
Amerika ist enttäuscht von Venezuela. Die Dinge zwischen Amerika und Venezuela laufen schon seit einiger Zeit nicht mehr gut, aber im Moment ist Amerika der Meinung, dass Venezuela die Menschenrechte verletzt. Venezuela braucht Amerika als einen wichtigen Wirtschaftspartner. Amerika wiederum hat ein Interesse an Öl in Venezuela.
Venezuela ist wütend auf die USA, weil sie Sanktionen gegen venezolanische Beamte verhängt haben, die angeblich in Menschenrechtsverletzungen verwickelt sind. Auch Präsident Obama nannte Venezuela eine Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA. Obama hat dies später nuanciert, aber für den venezolanischen Präsidenten Maduro kam dies zu spät. Er ist der Meinung, dass sich das "imperialistische" Amerika zu sehr in die Geschicke seines Landes einmischt. Vor allem linksgerichtete Länder in Südamerika stimmen mit Venezuela überein und fordern Obama auf, seine Worte zurückzunehmen.
Auch Venezuela ist verärgert über Guyana. Seit langem gibt es zwischen diesen Nachbarn einen Streit um ein großes Stück Land. Ein amerikanisches Unternehmen hat nun begonnen, in diesem Gebiet Öl zu fördern. Venezuela will das nicht und fordert das Gebiet zurück, aber Guyana gibt nicht nach. Guyana erhält viel Unterstützung von anderen Ländern der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM), denn in ihren Augen verteidigt Guyana seine Souveränität.
Kein Geld mehr für Freunde
Venezuela hat ein Problem. Wirtschaftlich steht es sehr schlecht, die Kriminalität ist so hoch wie nie zuvor und die Popularität des Präsidenten sinkt rapide. Das Geld geht zur Neige, die Supermärkte sind leer und viele finanzielle Verpflichtungen können nicht mehr erfüllt werden. Über das Petrocaribe-Ölprogramm konnten 17 Länder in den letzten 10 Jahren billiges Öl aus Venezuela beziehen, sogar mit Zahlungsaufschub. Das Petrocaribe-Ölprogramm wurde von Chavez im Jahr 2005 ins Leben gerufen, und auch Kuba beteiligte sich gerne daran. Jahrelang lief dieses Programm gut, und Venezuela konnte es nutzen, um vielen (vor allem kleineren) befreundeten Ländern zu helfen und sie einzubinden. Doch nun kann Venezuela dieses Programm aufgrund der schweren Wirtschaftskrise im eigenen Land nicht mehr aufrechterhalten. Venezuela dreht den Hahn zu. 12 der 17 Länder gehören zur Karibischen Gemeinschaft (CARICOM), und sie sind natürlich nicht glücklich darüber, dass ihr billiges Öl verschwindet.
Maduro gegen Obama
Venezuela hat die meisten Mitarbeiter der US-Botschaft des Landes verwiesen und wirft den USA vor, an einem Putschversuch Anfang des Jahres beteiligt gewesen zu sein. Venezuela drückt seine Frustration zuerst gegenüber Obama aus. So gab es mehrere Kundgebungen gegen den "Imperialismus", Maduro wurde per Dekret ermächtigt, sich gegen eine "Invasion" Amerikas zu verteidigen, und in Venezuela fanden groß angelegte militärische Übungen für den Fall einer Invasion Amerikas statt.
Die Unterschriftenkampagne
Vor einigen Wochen startete Maduro eine Unterschriftenkampagne, in der er Obama aufforderte, seine Sanktionen und Worte zurückzunehmen. Es heißt, dass Regierungsangestellte und Studenten zur Unterschrift gezwungen wurden und im Austausch für die Unterschriften Lebensmittel erhalten haben. In mehreren anderen Ländern, darunter Curaçao und Kenia, wurden venezolanische Diplomaten zur Rede gestellt, weil sie die Bevölkerung des Landes aufforderten, ebenfalls gegen Obama zu unterschreiben. Derzeit hat Venezuela fast 10 Millionen Unterschriften gesammelt. Höchstwahrscheinlich wird Maduro sie Obama während des Gipfels überreichen wollen.
Aufhebung der Sanktionen
In der Zwischenzeit gibt es eine interessante Veränderung in den Beziehungen zwischen Amerika und Kuba: Sie verstehen sich jetzt tatsächlich besser. Nach mehr als 50 Jahren der Fehde zwischen den beiden Ländern scheint es, dass sie wieder gemeinsam durch dieselbe Tür gehen können. Die Sanktionen werden aufgehoben und es besteht sogar die Chance, dass Amerika Kuba von der Liste der Länder, die Terroristen unterstützen, streicht. Kuba profitiert von den besseren (Handels-)Beziehungen zu Amerika, aber Kuba ist auch der beste Freund Venezuelas.
Kuba, der freundliche Feind
Eigentlich hat Kuba noch nie an dem Gipfel teilgenommen, aber andere Länder haben damit gedroht, den Gipfel abzusagen, wenn Kuba keine Einladung erhält. Dies ist also das erste Mal, dass Kuba an dem Gipfel teilnimmt. Die Sanktionen wurden bereits im vergangenen Jahr nach langen Gesprächen aufgehoben, und viele sehen dies auch als einen Schritt in Richtung neuer Beziehungen. Präsident Obama und Präsident Raul Castro werden sich treffen. Obwohl keine formellen Konsultationen zwischen den beiden Ländern geplant sind, wird erwartet, dass es sich um mehr als nur einen Händedruck handeln wird. Kuba hat Venezuela in den letzten Wochen bedingungslos bei der Kundgebung gegen Obama unterstützt - so wurden beispielsweise 3 Millionen Unterschriften für die Anti-Obama-Unterschriftenkampagne gesammelt. Das wird Obama nicht vergessen haben, wenn er Castro die Hand schüttelt.
Maduro VS Guyana
Maduro richtete seine Wut über Obamas Erklärung nicht nur an Obama, sondern zum Beispiel auch an das benachbarte Guyana. Guyana und Venezuela streiten sich seit langem um einen großen Teil von Guyanas Territorium, aber abgesehen von ein paar Zwischenfällen wie einem Schiff, das vorübergehend von Venezuela beschlagnahmt wurde, ist es in den letzten Jahren ziemlich ruhig darum geworden. Bis zu dem Moment, als Obama Venezuela als gefährlich bezeichnete. Zu dieser Zeit beschloss der US-Ölkonzern Exxon, in einem Gebiet vor der Küste Guyanas mit Bohrungen zu beginnen (Shell besitzt übrigens auch 25 Prozent dieses Gebiets). Venezuela forderte daraufhin von Guyana über 150.000 km2 Land und Meer zurück, darunter natürlich auch das Gebiet, in dem Exxon bohrte. Guyana reagierte abweisend und teilte mit, dass es Venezuela nichts (zurück) geben würde. Venezuela beschloss, Exxon ins Visier zu nehmen, und teilte ihnen in einem Schreiben an den Gebietsleiter mit, dass sie sofort aufhören und sich nicht in den Konflikt mit Guyana einmischen sollten. Guyana ist damit fertig und erklärte in einer Erklärung, dass Venezuela überhaupt kein Anrecht auf irgendetwas habe. Die 15 Länder der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM) erklären, dass sie die Souveränität Guyanas unterstützen.
Petrocaribe
In den letzten Jahren hat sich die Lieferung dieses Öls an die Petrocaribe-Mitglieder halbiert. Da die CARICOM die Souveränität Guyanas unterstützt und sich damit gegen die Ölfreundschaft mit Venezuela wendet, sieht Amerika eine Gelegenheit, neue Freunde zu gewinnen. Unerwarteterweise trafen sich Obama und die CARICOM-Länder gestern, einen Tag vor dem "Gipfel" in Jamaika, um im Rahmen eines Vorgipfels gemeinsam über die Energie der Zukunft nachzudenken. Gleichzeitig schickte Amerika einen hochrangigen Diplomaten nach Venezuela, um sich an den Tisch zu setzen. Der mögliche Partnertausch der CARICOM ist auch an Venezuela nicht spurlos vorübergegangen. In den letzten Wochen ist Venezuela mit dem Sack des Weihnachtsmanns durch die CARICOM-Länder gezogen, um alte Verpflichtungen zu erfüllen und neue Geschenke zu bringen.
Falsch gespielte Karten
Maduro glaubte kurzzeitig, alle Trümpfe für den Gipfel in der Hand zu haben, da er seit Wochen gefordert hatte, dass Obama seine Worte und Sanktionen zurücknimmt. Dabei hatte Maduro die Unterstützung der meisten südamerikanischen Länder. Doch seit einigen Wochen ist es um die Unterstützung sehr ruhig geworden: Die gleichen Länder unterstützen nämlich auch die erneuerten Beziehungen Amerikas zu Kuba.
Amerika reagiert kaum auf das Spektakel in Venezuela. Die erste Reaktion gestern war, dass die Worte aus dem Zusammenhang gerissen worden seien. Sieben Venezolaner, meist Politiker, wurden sanktioniert, mehr nicht. Es hätte nie einen Angriff auf das "Land Venezuela" gegeben, und Venezuela wird überhaupt nicht als Bedrohung angesehen. Lächerlich nennt das Weiße Haus Maduros Anschuldigung, Amerika sei an einem Putschversuch Anfang des Jahres beteiligt gewesen.
Die Pattsituation
Maduro befindet sich in einer Patt-Situation. In den letzten Wochen hat er seine ganze Energie in seinen Kampf gegen den Imperialisten Obama gesteckt, der sein Volk bedroht. Seit Wochen ist er damit beschäftigt, so viele Unterschriften wie möglich zu sammeln, war ständig im Fernsehen und hat seine Anti-Amerika-Kampagne ununterbrochen fortgesetzt. Die Probleme in seinem eigenen Land sind dadurch aber nicht kleiner geworden. Sie sind allerdings weniger verhandelbar. Maduro hat in letzter Zeit aufgrund der Probleme im eigenen Land viel von seiner Unterstützung verloren. Seine geringe Unterstützung besteht nun vor allem in seinem Kampf gegen Obama, den Maduro als Spektakel nutzt, um die Probleme in seinem eigenen Land zu ignorieren.
Wenn Maduro weiterhin Druck auf Guyana ausübt, wird er wertvolle Partner in seinem Kampf gegen den Imperialismus verlieren. Wenn Maduro jedoch aufhört, Druck auf Guyana auszuüben, wird er als der Präsident in die Geschichte eingehen, der Guyana kampflos aufgegeben hat. Das gleiche Problem hat Maduro in dem Moment, in dem er aufhören würde, Obama zu bekämpfen, der laut Maduro die Ursache für alle Probleme Venezuelas ist. Andererseits ist Amerika der größte Wirtschaftspartner Venezuelas.
Amerika schätzt die sich verbessernden Beziehungen zu Kuba, was einen Durchbruch darstellt. Aber die Beziehungen sind immer noch fragil. Die kubanische Unterstützung für Venezuela ist bisher an Bedingungen geknüpft. Wenn Obama zu weit geht, könnte er diese neue Beziehung verlieren und damit auch den Respekt, den er bei anderen südamerikanischen Ländern aufgebaut hat. Obama kann aber auch nicht einfach nichts tun. Schließlich wurden die Sanktionen als Reaktion auf die Korruption in Venezuela und wegen der Menschenrechte im Land verhängt. Daher ist Amerika vehement gegen die Verhaftung von Oppositionsführern und die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit. Mit dieser Verteidigung steht Amerika nicht allein da, sondern wird unter anderem von Europa und dem benachbarten Kanada unterstützt.
Es werden zwei spannende Tage in Panama, in denen hinter den Kulissen auf diplomatischer Ebene sicherlich versucht wird, die Nasen in dieselbe Richtung zu bringen. Vor allem Maduro hat bei den letzten Zügen in diesem Spiel viel zu verlieren, Obama verliert nur seine möglichen neuen Beziehungen zu Kuba als Einsatz. Und Guyana? Die müssen vor allem hoffen, dass Maduro nicht mit zu leeren Händen aus Panama zurückkommt, denn es ist nicht schwer abzuschätzen, wohin sich Maduros Zorn dann richten wird.
UpdateAm späten Donnerstagabend kündigte Maduro seinen nächsten Schachzug an. Nach einer Erklärung Obamas könnte Maduro auf dem Gipfeltreffen in Panama noch eine Chance für Gespräche sehen.